An sich ein recht interessantes Thema.
Wenn ich als amateurhafter Hobby-Larpsoziologe meine bescheidene und auf wilden Verallgemeinerungen und abenteuerlichen Spekulationen basierende Meinung beitragen darf:
Ich hab letztens Videos und Fotos von Larps früher mit welchen von Larps heute verglichen und mir sind mehrere Dinge aufgefallen.
Man kann sagen, daß das Larp hierzulande 3 "Epochen" hatte.
1. Epoche der Hippiephantasten (bis ca. 1998)
2. Epoche der Gothics/Metallnerds (ca. 1998 - 2003)
3. Epoche der Unruhen (2003 - heute)
1. Epoche der Hippiephantasten
Früher wurde Larp hauptsächlich von Leuten gespielt, die ich persönlich mangels eines besseren Begriffs mal als "Phantasten" bezeichnen möchte. Diese Leute hatten einen hippiehaften Grundcharakter mit ihrer Langhaarigkeit, Sitzkreismentalität und der Vorliebe für Kombinationen aus selbstgefärbten regenbogenfarbenen T-Shirts, Shorts und Sandalen.
Dieser Grundcharakter drückte sich vor allem in der damaligen Kostümierung, Interaktion und Rollenwahl aus. Die Kostüme waren orientiert an der späten, amerikanischen 80er Fantasyliteratur und Kultur. (Fast) Alles war komplett selbstgemacht, bunt und zielte drauf ab eine der gängigen Standardrollen der damaligen Fantasykultur grob darzustellen. Das Spiel selbst setzte anscheinend auf starke Kooperation und ein durchaus starker Gemeinschaftsgedanke beherrschte den Spielablauf. Obwohl die Rollenwahl eher individualistisch war, hing das Individualerlebnis stark von einem harmonischen Gruppenerlebnis ab.
Der typische Larper scheint nicht wirklich Mitglied einer gesellschaftlichen Randgruppe gewesen(und verachtet) zu sein, sondern war einfach jemand, der die Thematik "Fantasy" interessant fand, wenn dann könnte man Resthippietum und ein paar Punks feststellen, aber das galt damals noch als halbwegs akzeptabel/cool. Auch war der Larper anscheinend früher im Durchschnitt eher um 25 herum oder noch älter.
2. Epoche der Gothics/Metallnerds
Irgendwann um '98 herum finden sich mehr und mehr Gothics, Metallnerds und ähnliche Randgruppen in den Reihen der Larper. Aus unerfindlichen Gründen wurde das, was ich mangels näherer Kenntnis mal als Todesmetall bezeichne (sone Musik, wo einem entweder irgendein Typ möchtegerntiefsinnige Pennälerlyrik(wie Egberh so treffend sagte) vorjammert oder aber irgendein haariger Kasper mit Bierwampe aus dem Keller seiner Eltern wie ein abgestochenes Schwein zu grauenhaften Schalmeien unverständliche Verse ins Mikrofon röhrt), also diese Art von Musik wurde zur Haus und Hofmusik des gemeinen Computernerds, der seit jeher auch gleichzeitig Hauptkonsument von Fantasykram war.
Damit war nun der damit verbundenen Ästhetik Tür und Tor zum Larp geöffnet. Gepeinigt vom Leben als soziale Randgruppe begehrte der nun entstandene Fantasynerd im Liverollenspiel ersatzweise gegen die Gesellschaft auf. Während die Gothics im Larp einen adäquaten Tummelplatz mit etsprechender Akzeptanz(waren ja mehr oder weniger nur Hippies da) für ihre schwermütige Lack- und Leder/ Ketten- und Peitschenästhetik sowie für eine narzisstische Zelebrierung der Entlarvung der angeblich vorgeblich korrekten Massenkultur sahen lockte den gemeinen Computerfantasynerd der Reiz eines tatsächlichen Abenteuers außerhalb der eigenen vier Wände, die hier mitgebrachte Ästhetik konzentriert sich auf eine Überhöhung des individuellen Heldentums, der Übermacht des Einzelnen über die Masse und ist geradezu ein Spiegel für die primär für einen einzelnen Spieler gedachten Computerspiele mit einer im Verlauf der Handlung immer mächtiger werdenden Hauptfigur. Vermutlich wird hier und da auch die Hoffnung mal eine übergewichtige Tussi im Lederkorsett aus vorheriger Gruppe abzuschleppen manch Heldenherz höher geschlagen haben lassen.
Das Durchschnittsalter sank während dieser Epoche wohl mindestens 5 Jahre ab und der Gebrauch komerzieller Produkte speziell für den Larpmarkt stieg an.
3. Epoche der Unruhen (2003 - heute)
Nach einiger Zeit der unumschränkten aber stagnierenden Herrschaft der Fantasynerds bildete sich allmählich eine nach vorne strebende aber dennoch im Kern reaktionäre Bewegung, die die herrschende Ästhetik und Spielkultur der klassischen Fantasynerds in Frage stellte. Grundlage dafür scheint gewesen zu sein, daß genügend Spieler zum Larp kamen, die nicht aus dem Kulturkreis des klassischen Fantasynerds mit entsprechender Vorbildung stammten. Ebensowichtig wird aber auch der interne Umschwung vieler gewesen sein, die den status quo als Sackgasse erachteten und denen der Computerspielhafte individuelle Wettkampf als Ausdruck von "Unreife"mißfiel.
Diese Kritik zielte auf eine Reform der herrschenden Fantasyästhetik hin und, wohl durch das allgemein wachsende Interesse in der Bevölkerung am Mittelalter beeinflußt, stabilisierte ihren Kurs auf ein möglichst geschichtsnahes Rollen- und Handlungsspektrum und eine entsprechend historisch orientierte Ausstattung. Damit einher geht eine Abwendung von kommerzieller Larpausstattung, da historisch korrekte Ausstattung nur schwer zu adäquaten Preisen erhältlich ist und meist selbst hergestellt werden muß.
Obwohl diese Gegenbewegung seither stetig an Beliebtheit gewinnt, zeichnet sich ab, daß sie wohl eher ein Schlenker denn ein allgemeiner Kurswechsel sein wird. Aus der anfänglich außerlarpischen "Kultur" der Fantasynerds hat sich durch die vielen Jahre der Stagnation und, mangels eines besseren Worts, "Inzucht" eine eigene Larpspezifische Nerdkultur gebildet, die nicht von ihren Pfründen lassen will und, im Gegensatz zu der eher passiven Phantastenkultur voragegangener Jahre, aktiv neu eintretende Spieler assimiliert und an ihre Ästhetik bindet, die aber im Widerspruch zur Mittelalterorientierten Bewegung steht.
Prognosen von Autorenseite dieses Artikels weisen auf eine Renaissance des guten alten Larpnerdtums hin.
Fazit:
Im Großen und Ganzen sind die gefühlten "Massen" keine Massen, sondern lediglich ein stärkerer Zustrom von Teilnehmern aus einer beschränkten Subkultur heraus. Der vermutete kulturell-soziologische Pluralismus im Larp wird ausbleiben und damit auch eine mögliche Grunderneuerung und Zugangserweiterung für subkulturfremde Teilnehmer.
Würde ich zumindest mal so sagen,
Dr. h.c. rer. Larp T.S.
Nachricht bearbeitet (Thu 07.12.06 00:17)
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Alle umlegen, soll die SL sie aussortieren!