Es geht ja auch im Endeffekt nicht drum, den Magi ans Bein zu pissen, sondern darum, eine bestimmte Stimmung im Bezug auf Magie zu erzeugen.


Ich gebe durchaus zu, dass ich meine Probleme mit DragonSys oder That's Live habe. Eigentlich habe ich die Probleme nicht mit den Systemen, sondern mit deren Anwendung. Beide Systeme stellen einem Magi-Spieler alle Sprüche zur Verfügung und unterscheiden nicht zwischen Magier und Priester. Das ist einerseits lobenswert, weil es die Fantasie der Spieler im Aufbau ihres Charakters nicht einschränkt, es sorgt aber auch für eine gewisse "Bastardisierung" des LARP, in der man nicht ein Charakterkonzept spielt, sondern das Maximum aus einem System rausholt. Der klassische Spruch "Nach Dragonsys darf ich das aber..." sagt doch eigentlich schon alles: Ich nehme das System, weil es mir dieses und jenes erlaubt.
Meiner Meinung ist dieses Verhalten nicht im Sinne des Spiels. Um es mal freundlich auszudrücken: Viele Charaktere die so konstruiert werden, wurden nur erschaffen um der Eitelkeit des Spielers zu schmeicheln. Ich persönlich ziehe eine andere Art von Spiel vor und aus diesem Grund bin ich auch der Meinung, dass eine starke Einschränkung der Fähigkeiten mehr bringt als eine breite Auswahl an Möglichkeiten. Das klingt restriktiv, aber denkt mal über folgendes nach:

Wieviele Krieger oder Waldläufer kennt ihr, die Trankkunde haben, um sich ihre Heiltränke und Schutztränke selber brauen zu können? Ich kenne viele.

Wie viele Magier kennt ihr, die alle Sprüche aus dem Handbuch beherrschen oder es zumindest anstreben? (Was ist das überhaupt für ein Lebensziel für einen Charakter? Ich will alle Sprüche im Handbuch können... armseelig!)

Wieviele Magier können Heilsprüche und wieviele Priester können Feuerbälle und Blitzstrahlen? Wieviele Priester erklären ihre Feuerbälle mit der üblichen dummen Ausrede, sie dienten einer elementaren Gottheit? Jede Menge.


Bei AD&D oder anderen Tabletop-Systemen akzeptieren wir klaglos, dass Magier keine Heilsprüche haben und Priester in ihren Kampfsprüchen stark eingeschränkt sind. Warum ist es so schwer, eine solche Einstellung in einen LARP-Charakter zu übernehmen. Ich stelle hier jetzt mal eine Theorie auf:

Auf dem Blatt betreiben wir Rollenspiel. Es ist einfach, weil die Figur sich in unserem Geist bildet und von uns gelenkt wird.
Wir spielen aber LARP. Wir spielen nicht nur die Figur, wir stecken in der Figur. Man will dabei natürlich eine gute Figur machen. Und man will natürlich auch heldenhaft sein und vor allem Anerkennung finden. Nur ist es schwer, diese Anerkennung mit dem zu erreichen, was die Natur uns mitgegeben hat. Die meisten von uns sind eben keine biblischen Helden (Ausser Fred, der ist der Papst und Udo, der ist 2,07 Meter gross und halb so breit.) sondern nur sehr normale Menschen. Es verführt, diese Anerkennung über Punktefähigkeiten zu erreichen. Man muss sie nicht wirklich beherrschen, man muss sie nur auf einem Blatt Papier nachweisen können. Aber das machen alle. Also muss man besser sein als der Rest. Und so pumpt man immer mehr Punkte in die Fähigkeiten rein um besser zu sein als die Anderen.
Jetzt tritt ein interessanter Effekt auf: Es gibt nur eine begrenzte Anzahl an Sprüchen und Fähigkeiten - und je mehr Punkte die Leute in diese Fähigkeiten stecken, um so ähnlicher werden ihre Charaktere. Es gibt bei allen Systemen den sogenannten "Skill-Cap" - der Punkt, an dem man alle Fähigkeiten hat, die ein System zulässt. Charaktere, die diesen Punkt erreichen haben definitiv keinen Unterschied mehr untereinander. Nur noch verschiedene Punktewerte in den verschiedenen Skills machen noch einen leichten Unterschied aus... Aber was ist der Unterschied zwischen Pflanzenkunde 360 und Pflanzenkunde 420? Was machen 60 Punkte an Rollenspiel aus?
In diesem Moment ist der Krieger und der Waldläufer absolut identisch, da sie effektiv vom System nicht unterschieden werden. Natürlich hat der Spieler angeblich noch ein Konzept, doch dieses Konzept wirkt sich nur selten auf das Spiel aus und sobald es um die Anwendung von Fähigkeiten geht, sind die Charaktere absolut austauschbar. Das Gleiche gilt für Magier und Priester oder jede andere magische Klasse. Genaugenommen unterscheidet sich das Spiel an diesem Punkt nur noch in magische und nichtmagische Charaktere. Und selbst dass ist recht schnell kein Problem mehr.

Das alles wäre bei Systemen mit flachen Lernkurven und ehrlichen Spielern kein Problem. Ich habe es schon öfters erwähnt: Ich glaube nicht mehr an den ehrlichen Spieler - dafür laufen zuviele Leute rum, die angeblich schon vor 12 Jahren gespielt haben, die mir aber absolut unbekannt sind und die eigentlich niemand sonst kennt. Es laufen auch zu viele Leute rum, die mehr Con-Tage haben, als man glaubwürdig in den Jahren ihrer Spielzeit erspielen könnte.

Nun soll dies aber kein allgemeines Gemecker wider die aufstiegs-basierten Punktesysteme sein. Ich bin aber der Meinung, dass man unverrückbare Unterschiede zwischen den Charakteren einrichten sollte, damit es nicht zu dieser Gleichschaltung der Charaktere kommt. Das mag das Ego manchen Spielers kränken, wenn sein Magier nicht alle Sprüche lernen kann - es ist aber für das Spiel vorteilhaft. Angenommen, ein Krieger oder Waldläufer könnte "Trankkunde" niemals erlernen - der Charakter wäre auf einen Alchemisten angewiesen und würde sozusagen zum Zusammenspiel gezwungen. Ein Magier, der keine Heilsprüche beherrscht, ist auf einen Priester oder Heiler angewiesen, wie der Heiler im Falle der Magie auf den Magier angewiesen ist. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass dies ja ein Zwang zur Zusammenarbeit ist und man nichts erzwingen sollte, was der Spieler nicht leisten will, aber hier möchte ich ganz energisch dagegenhalten: LARP ist und war niemals eine One-Man-Show. Man spielt zusammen mit anderen Spielern und jeder hat ein Recht darauf, seinen Charakter darzustellen und entsprechende Anerkennung dafür zu erfahren. Es gibt aber kein Sonderrecht, auf Punktebasis den Held markieren zu dürfen. Das ist der billige Weg der Hasenfüsse. Pater Nord ist damals in der Hölle geblieben und hat von innen die Tür zugemacht! Das ist erspielter Heldenstatus - dagegen kann man mit Punkten nicht anstinken und wer es versucht, der hat nicht verstanden, worum es im Spiel geht. Leute: Punkte und Multiple-Choice-Systeme funktionieren auf euren Computern! Im LARP ist deutlich mehr möglich.


Dragonsys oder That's Live werden sich nie ändern, weil es Rahmensysteme sind. Für manche stellen sie die absolute Grenze des Möglichen dar, für andere sind sie eine erweiterbare Grundlage - aber es ist immer nur der Rahmen des Spiels, weil es für eine breite Masse geschrieben wurde.
Ich möchte aber die Kampagnen-SLs dazu auffordern, mehr an Arbeit in ihre Kampagnen zu investieren als eine Karte zu zeichen und die Geschichte der Weltenentstehung ihrer Religion festzulegen. Meiner Meinung nach sollten Kampagnen durchaus den Charakteren Beschränkungen auferlegen. Wenn ein Magier nicht nur ein "magischer Charakter, der noch nicht genug Punkte hat" ist, wird das Spiel interessanter. Ich finde es auf jeden Fall schöner, wenn Magier sich durch mehr als die Namensgebung unterscheiden. Ich finde es schön, wenn eine Hexe ganz andere Magie wirkt mit ganz anderen Sprüchen als z.B. ein Nekromant. Da reicht es nicht, einfach mehr Sprüche in ein System zu bringen - es müssen Unterschiede rein.


Jörg


P.S. Seid froh dass ich euch die Predigt über die Sinnlosigkeit von "aufstiegs-basierten Systemen" (Punkte sind nicht böse... es ist der Zwang zum sammeln der Punkte, den die Leute empfinden.) erspart habe. Die ist zehnmal länger.