Bilshifa! Für mich ist eben jedesmal bei einem Anlauf zu *Charakterberatung* (obwohl ich mit aufgekrempelten Ärmeln am Schreibtisch sitze..) die Kluft zu überbrücken zwischen dem Spielstil in Mehrheitlich-de -
da meint jede und jeder Zusteigende sich nach ausgefülltem "Konzept" einen Ch. bauen zu müssen, der schon auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet ist; und den trägt man dann in beliebige Cons (die Auswahl fusst eher auf Distanz, Datum, Kosten) und will dort etwas geboten bekommen - eigene Initiativen und schrittfürschritt vorrücken beim Erfahrungsammeln und Ch'feinschleifen wird weniger propagiert -
und dem Ablauf hier in der Schweiz,
wo die abzuspulende Story als erste Priorität beachtet wird; es wird schon bei der Ausschreibung des Abenteuers erläutert, in welches Setting die mitgebrachten Ch. passen sollen (also Magierakadaemi, Ordensverleihungsfest in der Händlergilde, Jahrespräsentation aller Alchemisten zwecks Verteilung der Unterstützungsgelder, Forschungsexpedition in ein verseuchtes Flusstal mit Schatzhebung, Rast machen in ehemaliger Kaserne der Drachenritter samt Keller-Räumung..), und daher stehen auch Vorschläge auf den Blättern, woher die Figuren stammen, welche Tätigkeit geeignet wäre und wer von den bekannten Ch. dahin gewünscht wird = das ist der Vorteil von fortlaufender Kampagne.
Auch wenn unseren Spielern ein fixes Umfeld vorgelegt wird, haben sie immer noch total viele Freiheiten, ihrem Ch. die Einzelheiten zu verleihen:
das betrifft nämlich drei Dinge:
1. Du brauchst einen Grund, um genau hier anwesend zu sein.
2. Mit Vorteil hast Du eine Bezugsperson im Abenteuer.
3. Und Tics / Eigenheiten, die den Ch. unverwechselbar machen (dazu gehört der *verrückte Hut*!)

Eigentlich berichte ich hier immer nur Beispiele aus dem Erfahrungskistchen:
es ist natürlich fein und "bereichernd", wenn Du unterwegs oder am Rastplatz als Ch. viel erzählen kannst. Und es braucht weniger die Allgemeinplätze "wer waren meine Eltern", "aus welcherart Siedlung komme ich", "weshalb bin ich abgehauen und habe ein Schwert in der Hand.." - sondern kleine Episoden, die so wie winzige Lichtblitze das Charakterpuzzle erhellen: Kender sind ja überaus gut im andeutungsweise Geschichten berichten "ich war auch schon mal Zuschauer bei einem Überfall, also neben einem total verschlammten Weiher.." - das muss niemand vorbereitet haben mit Spickzettel, das lässt sich spontan erfinden. Aus alldiesen Brocken und den Reaktionen darauf formt sich der Ch. wie von selber.
Unsere Spieler überschlagen sich natürlich mit dem Heraussuchen von ganz speziell originellen Détails = da ist nicht einfach "Bauer" der Beruf, sondern:
"Wisst Ihr, ich lass mich nie wieder erwischen, wenn ich nur weil meine Zunge etwas Süsses schmecken will, hampfelweis Brombeeren pflücke, jetzt erkenne ich sogleich, wenn Früchte angepflanzt sind in einem gejäteten Beet - also ich durfte dann einen Monat lang in jenem Winzthing-Gehöft abarbeiten und so lernte ich, wie man die Spalierbirnen düngt und schneidet und welch schmakkige Marmeladen sich zusammen mit Honig und Halwa kochen lassen. Hier in der Stadt will ich unbedingt mit einem Zuckerbäcker sprechen und bei ihm etwas lernen - Ihr kennt nicht zufällig einen?"

Was brauchst Du dazu an Ausrüstung?
Kleinzeug ist super, denn wie in einem Con-Setting auch Gegenstände und Requisiten nötig sind, damit sich die Gruppen darum streiten und beklauen können und dann etwas Greifbares zum Herumtragen haben usw, wird auch dem Einzelcharakter fad, wenn er nur mit Worten spielen muss.
Ich würde einfach zuhause im eigenen Sammelsurium stöbern und alles herauslegen, was nach meinem Gefühl "fantasy-artig" aussieht (und nicht grad ein teures Erbstück von Karl dem Grossen ist:-) Das fängt bei "Behältnissen" an: Holzschatulle, geprägte bemalbare Blechschachteln, Kartonröhren, die mit Stoff oder Leder beklebt werden können (für Stricknadeln, anderes Werkzeug, Adlerfedern, Schriftrollen usw), dann ein grosses Tragegerät wie Rucksack, Beutel mit Schnallenverschluss, alte Handwerkertasche aus Leder, Hebammenkoffer.. das macht Dich interessant, wenn Du im dümmsten Moment mitten auf der Wegkreuzung in diesen herumwühlst - und gibt den andern einen Grund, Dich anzusprechen.
Beim Vorbereiten darfst Du sehr wohl aus Sicht der Mitspieler überlegen, was kleine Aktionen ermögliche. Und weshalb sollst Du nicht die mit venezianischen Mustern bestickte dicke Decke vom Onkel-Udo-Flügel als Parodie auf die Linus-Schmusedecke haben?

Vielleicht hast Du auch schon dran gedacht, ein kleines verstecktes Talent zum Chanten, Gregorianische Chöre rückwärts singen oder keltische Drudel mit Whiskystimme: das geht in Richtung Priestertum. Alle raten Dir natürlich davon ab, eine selbsterfundene zusammengestoppelte Religion als einzige Klerikalmissionarsperson vorzuführen - aber "auf der Suche sein" kommt immer gut = Du hattest eine Vision (und sie hiess gerantiert nicht Maria! aber es kamen gefärbte Holzteile vor, die auf Dich zu rollten und Du hattest das Gefühl, dass sie richtig zusammengesetzt ein Gesicht oder einen Gurkenhobel ergeben - und die Götter können Dich doch nicht so bestrafen wollen, dass Du einen Bräutigam aus der berühmten Rothschild-Gurkenzüchterfamilie mit solcher Visage zugeteilt erhältst..) und willst nun einen vertrauenswürdigen Priester finden, der Dir das alles erklärt..

Meistenste Grüsse. Habakuk.