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[repost wg. test] Spielstile: Überlegungen zur Methodik (lang)
geschrieben von: Gänsekiel
Datum: 2003-01-13 10:51

% Hi,
%
% ich laboriere seit einiger Zeit daran, die Spielstil-Debatte von
% Anfang August mal von der methodischen Seite anzugehen.
% Leider erfordert das einiges an Formeln, weshalb ich mich schweren
% Herzens entschlossen habe, den Text als LaTeX-Dokument zu posten.
% Immerhin ist LaTeX-Quelltext ja auch einigermaßen lesbar.
%
% Wer aus mir unerfindlichen Gründen für seinen mathematischen Textsatz
% eine andere Software verwendet, dem sende ich auf Anfrage das Dokument
% gerne als Postscript- oder PDF-Datei zu (je ca. 85KB). Gerne auch
% komprimiert mit zip, gzip oder bzip2.
%
% Tschüß,
% Ralf
%
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\newtheorem{definition}{Definition}
\begin{document}
\subsection*{Spielstile: Überlegungen zur Methodik}

\subsubsection*{Einleitung}

Holger Göttmann hat in diesem Forum den Begriff der sogenannten
"`$x$-Fold-Modelle"' eingeführt, mit deren Hilfe in internationalen
Diskussionsforen über Rollenspiele Spielstile bzw. Spielphilosophien
von Rollenspielern beschrieben werden. Es handelt sich dabei um
mehrere abstrakte Modelle, in denen jeweils eine bestimmte Zahl $x$
von Teilaspekten definiert wird, die zusammen das gesamte Spiel
beschreiben. Die Spielphilosophie eines Rollenspielers oder der Stil
einer Rollenspielpartie läßt sich dann anhand der Präferenzen des
Spielers für die einzelnen Teilaspekte oder der Gewichtung der
einzelnen Teilaspekte innerhalb der Partie beschreiben.

Damit ein solches Modell als Instrumentarium einer Stilanalyse
tauglich ist, sind meiner Meinung nach noch einige definitorische
Erweiterungen des Modells nötig, um ein ausreichendes theoretisches
Fundament für spätere Analysen zu bieten. Mathematischer Konvention
folgend, werde ich für die beliebige aber feste Zahl der Teilaspekte
den Buchstaben $n$ statt $x$ verwenden und somit für den Rest dieses
Artikels von $n$-Fach-Modellen sprechen.

\subsubsection*{Quantifizierung von $n$-Fach-Modellen}
Beziffert man die Präferenz für jeden Teilaspekt innerhalb eines
$n$-Fach-Modelles mit einer beliebigen Zahl, so entsprechen die
Komponenten des Modells offenbar den Koordinatenrichtungen eines
$n$-Dimensionalen Zahlenraumes.

Läßt man beliebige reelle Zahlen zur Bezifferung zu, so entspricht
dieser Zahlenraum dem üblichen $n$-Dimensionalen Vektorraum über der
Menge der reellen Zahlen $\R^n$.

Allgemein gesprochen bietet sich folgende Definition an:

\begin{definition} $n$-Fach-Modell
Ein $n$-Fach-Modell $\M$ ist eine Menge von Vektoren der Form
$X=(x_1,\ldots,x_n) \in \R^n$ wobei $x_i$ die numerische
Repräsentation der Gewichtung des $i$-ten Teilaspekts des inhaltlich
beschriebenen $n$-Fach-Modells ist. Der Vektor $X$ beschreibt eine
bestimmte Konstellation der $n$ Teilaspekte.
\end{definition}

Ein Rollenspieler mit einer gegebenen Präferenz kann dann durch einen
Punkt $X$ im $\R^n$ repräsentiert werden. Ebenso ein Rollenspiel mit
einer gegebenen Gewichtung der Teilaspekte. Eine Rollenspielergruppe
mit $k$ Mitgliedern wird durch eine Punktwolke
$\{X_1,\ldots,X_k|X_j\in\M\ \forall\ j\in\{1,\ldots k \}\}$
repräsentiert.

Da die inhaltliche Interpretation der Darstellung einer Präferenz
durch beliebige reelle Zahlen und vor allem die inhaltliche
Interpretation der Rechenregeln der Vektoralgebra sehr schwer
erscheint, muß wohl auf die Eigenschaften eines Vektorraums kein
besonderer Wert gelegt werden, so daß geeignete Teilmengen des $\R^n$
zur Darstellung des Modells gewählt werden können.

Zum Beispiel könnte man die Einschränkung $x_i \in [0,1]\ \forall i$
machen, wenn etwa 0 eine geringe Gewichtung und 1 eine hohe Gewichtung
repräsentiert. $\M$ besteht in diesem Falle aus dem $n$-Dimensionalen
Einheitswürfel. Wenn die Gewichtungen in Prozenten ausgedrückt werden
sollen, gilt hingegen etwa $x_i \in [0,100]\ \forall i$ und
$\sum_{i=1}^n x_i = 100$ und $\M$ bestünde aus einer
$n-1$-dimensionalen Hyperebene. Will man Holgers Idee Rechnung tragen,
daß man nicht mehr von "`Rollenspiel"' sprechen könne, wenn einer der
Teilaspekte ausschließliches Gewicht erhält, so wähle man $x_i \in
]0,100[\ \forall i$ und $\sum_{i=1}^n x_i = 100$.

Alle diese Einschränkungen sind allerdings für die nachfolgenden
Überlegungen völlig unerheblich. Entscheidend ist die Tatsache, daß
zur Darstellung des Modells eine Teilmenge des $\R^n$ dient, und damit
die Eigenschaften dieses Zahlenraumes als Grundlage für die weiteren
Überlegungen dienen können.

Der Idealfall, bei dem alle Spieler einer Rollenspielrunde den
gleichen Spielstil verfolgen, ließe sich dadurch veranschaulichen, daß
für die oben beschriebene Punktwolke gilt:
\begin{equation}
X_i=X_j\quad \forall\ i,j\in\{1,\ldots k\}.
\end{equation}


Dieser Idealfall, nämlich daß alle Spieler exakt den gleichen
Spielstil pflegen, wird wohl in der Praxis nicht vorkommen.
Tatsächlich werden die Vektoren $X_1,\ldots,X_k$ wohl mit mehr oder
weniger großer Varianz streuen. Je größer diese Varianz ist, desto
größer ist in der Regel auch die Distanz zwischen extremen Elementen
der betrachteten Punktmenge. Im günstigeren Fall hat die Punktwolke,
die von den enthaltenen Vektoren gebildet wird, das Erscheinungsbild
eines einzelnen gleichmäßigen Clusters, in dem die Punkte mehr oder
weniger gleichmäßig um einen Mittelwertvektor $X_0$ gestreut sind. Es
ist aber auch der Fall denkbar, daß sich mehrere Ballungszentren in
der Punktwolke ausmachen lassen. Im Extremfall kann die gesamte
Punktwolke in mehrere Teilcluster zerfallen, die sich überhaupt nicht
mehr überschneiden.

Für die inhaltliche Interpretation gilt sicherlich, daß ein
Zusammenspiel in einer Gruppe um so mehr Kompromißbereitschaft
erfordert, je größer die Varianz in der Gesamtgruppe ist, bzw. desto
mehr die Gruppe in einzelne Cluster zerfällt.

Eine Fragestellung für eine Analyse des Problems besteht nun darin, ob
es Möglichkeiten gibt, die Distanzen zwischen einzelnen Vektoren und
zwischen Punktmengen zu messen und aus diesen Distanzen ggf. sogar
Schlüsse darüber abzuleiten, ab welchen Distanzen Spieler
möglicherweise nicht mehr harmonieren, bzw. ab welcher Distanz
zwischen Teilgruppen ein Zusammenspiel der Gesamtgruppe nicht mehr
reibungslos funktionieren wird.

\subsubsection*{Distanzmessung zwischen Spielstilen}

Ein Vorteil der Modellierung des $n$-Fach-Modells als Teilmenge des
$\R^n$ besteht darin, daß beliebige auf dem $\R^n$
definierte Metriken auch zur Abstandsmessung zwischen den Elementen
dieser Teilmenge herangezogen werden können. Kanonisch als Metrik auf
$\R^n$ ist sicherlich die Euklidische Norm des Differenzvektors.

Die Distanz zweier Spielstile $X=(x_1,\ldots,x_n)$ und
$Y=(y_1,\ldots,y_n)$ ergibt sich damit zu
\begin{equation}
\Delta_{X,Y}=||X-Y||=\sqrt{\sum_{i=1}^n (x_i-y_i)^2}.
\end{equation}


Die Möglichkeit, die Distanz $\Delta_{X,Y}$ zu beziffern ist an sich
noch wenig nützlich, da die inhaltliche Interpretation einer solchen
Distanz schwerfällt. Allerdings ließen sich bereits mit dieser
einfachen Distanzberechnung empirische Versuche durchführen, ob man
eine "`kritische"' Distanz ermitteln kann, ab der es mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit zu Reibungen zwischen Spielern kommen kann.

Der eigentliche Vorteil eines Distanzmaßes zwischen den Spielstilen
ist allerdings, daß man basierend auf dieser Metrik komplexere Maße
für die Homogenität einer Gruppe und für die Heterogenität zwischen
den Gruppen definieren kann.

\subsubsection*{Homogenität in einer Gruppe}

Die Homogenität einer Gruppe $G=X_1,\ldots,X_m$ soll mit einer
Maßzahl $h(G)>0$, gemessen werden die umso kleiner ist, je homogener
die Gruppe $G$ ist.

Eine Möglichkeit für die Messung der Homogenität einer Gruppe $G$
besteht darin, die Summe der Distanzmaße zwischen den in ihr
enthaltenen Objekten zu berechnen und zu normieren:

\begin{equation}
h(G)=\frac{1}{m(m-1)} \sum_{i=2}^m\sum_{j=1}^{i-1} \Delta(X_i,X_j).
\end{equation}


Ein weiteres mögliches Maß für die Gruppenhomogenität ist

\begin{equation}
h(G)=\max_{i,j=1\ldots m } \Delta(X_i,X_j),
\end{equation}


d.h. das Distanzmaß der beiden unähnlichsten Objekte einer
Gruppe. Dies ist natürlich ein sehr strenges Maß der Homogenität, daß
zudem die Homogenität großer Gruppen verhältnismäßig schlecht
beurteilt.

Diesen Nachteil hat das Homogenitätsmaß

\begin{equation}
h(G)=\min_{i,j=1\ldots m } \Delta(X_i,X_j)
\end{equation}


nicht. Vielmehr kann es hier passieren, daß große Gruppen $G$ trotz
relativ kleinem $h(G)$ recht heterogen sind.

\subsubsection*{Heterogenität zwischen Gruppen}

Die Heterogenität zweier Gruppen $G_1, G_2$ mit jeweils $m_1$ und
$m_2$ Spielern soll mit einer Maßzahl $v(G_1,G_2)>0$, gemessen werden
die umso kleiner ist, je mehr sich die Gruppen ähneln.

Außerdem scheinen unter Umständen folgende Bedingungen sinnvoll:

\begin{equation}
v(G_1,G_1)=0 \quad\mbox{und}\quad v(G_1,G_2)=v(G_2,G_1).
\end{equation}


Für disjunkte Gruppen kann man folgende Maße festlegen:

\begin{eqnarray}
v(G_1,G_2)=&\max\limits_{X\in G_1, Y\in G_2}
\Delta(X,Y)&\qquad\mbox{(complete linkage),}\[15pt]
v(G_1,G_2)=&\min\limits_{X\in G_1, Y\in G_2}
\Delta(X,Y)&\qquad\mbox{(single linkage),}\[15pt]
v(G_1,G_2)=&\frac{1}{m_1 m_2}\sum\limits_{X\in G_1}\sum\limits_{Y\in G_2}
\Delta(X,Y)&\qquad\mbox{(average linkage).}
\end{eqnarray}

Im ersten Fall wird die Verschiedenheit aufgrund des unähnlichsten, im
zweiten Fall aufgrund des änlichsten Objektpaars gemessen. Das dritte
Maß mißt die durchschnittliche Ähnlichkeit der Objekte aus den beiden
Gruppen.

Falls sich zwei Gruppen teilweise überschneiden, so setze man

\begin{equation}
v(G_1, G_2) := v(\{G_1 / \{G_1 \cap G_2\}\}, \{G_2 / \{G_1 \cap G_2\}\}).
\end{equation}

Ist z.B. $G_1$ vollständig in $G_2$ enthalten, so gilt analog:

\begin{equation}
v(G_1, G_2) := v(G_1 , \{G_2 / G_1 \}).
\end{equation}

\subsubsection*{Verwendungsmöglichkeiten der vorgestellten Maße}

Anhand der vorgestellten Maßzahlen kann man die Ähnlichkeit der
Mitglieder einer Gruppe und die Ähnlichkeit von verschiedenen Gruppen
beziffern. Wendet man diese Maße auf eine Klassifikation aus
Teilmengen einer größeren Gruppe an, so lassen sich aus ihnen wiederum
Maße für die Güte einer Klassifikation definieren. Eine Klassifikation
gilt als gut, wenn die Homogenität innerhalb einer Klasse
und die Heterogenität zwischen den Klassen jeweils möglichst hoch
sind. Auf die Vorstellung entsprechender Maßzahlen will ich hier aus
Rücksicht auf die Leser verzichten, Interessierte finden solche Maße
z.B. in \cite{hart} (Kapitel VII).

Die statistische Cluster-Analyse bietet darüber hinaus Verfahren, um
Klassifikationen zu konstruieren, die gewissen Optimalitätskriterien
in Bezug auf die Ähnlichkeiten von Objekten in den Klassen
genügen. Auch eine Vorstellung solcher Verfahren würde sicherlich den
Rahmen dieses Artikels sprengen.

Für unsere konkreten Fragestellung wäre zum Einen auch hier zu
ermitteln, ob man durch Beobachtung "`kritische"' Werte für die
Gruppenhomogenität ermitteln kann, bei deren Überschreitung das
harmonische Zusammenspiel einer Gruppe mit hoher Wahrscheinlichkeit
scheitern wird. Ebenso kann man versuchen, für die Heterogenität
verschiedener Gruppen Grenzwerte zu ermitteln, bei deren
Überschreitung die Gruppen mit hoher Wahrscheinlichkeit in
Out-of-Play-Konflikte geraten.

Clusteranalytische Konstruktionsverfahren könnten theoretisch dazu
eingesetzt werden, eine große Gruppe von Spielern so zu unterteilen,
daß die zu erwartenden Konflikte in jeder Teilgruppe minimal
werden. In der Praxis wird diese Methode aber wohl als zu willkürlich
erscheinen, da das Zusammenfinden von Spielergruppen vorwiegend
auf anderen Faktoren als der Spielphilosophie beruht.

\subsubsection*{Ausblick}

Da die wichtigste Voraussetzung aller Statistik eine solide Datenbasis
ist und eine wichtige Voraussetzung der vorgestellten Modelle eine
saubere Quantifizierbarkeit der Eigenschaften eines Objekts ist,
kann der nächste Schritt der Debatte über Spielstile nur die Auswahl
eines geeigneten $n$-Fach-Modells und die Festlegung einer zugehörigen
Bewertungsskala sein. Diese Skala muß hinreichend aussagekräftig und
allgemeinverständlich sein, um die zuverlässige Bezifferung des eigenen
Profils für einen Spieler zu ermöglichen. Außerdem muß die Skala so
konstruiert sein, daß eine sinnvolle Interpretation der Vektorendistanzen
ermöglicht wird.

Ist eine solche Skala gefunden, dann sollten ausreichend Daten erhoben
werden, um die vorgestellten Modelle zu erproben und
weiterzuentwickeln. Dabei wäre es wünschenswert, bereits Informationen
über bestehende Gruppenzugehörigkeiten (z.B. Vereine, bevorzugte
Veranstalter) und vergangene Konflikte zu erheben.

\begin{thebibliography}{9}
\bibitem{hart}Hartung, Elpelt (1992): Multivariate Statistik, Oldenbourg,
München
\end{thebibliography}

\end{document}



Thema geschrieben von Datum/Zeit
[repost wg. test] Spielstile: Überlegungen zur Methodik (lang) Gänsekiel 2003-01-13 10:51


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